Axel Weber
45 Jahre Sozialpolitik - und mehr



 

Zwischen 33 und 45

 

Es gibt Dimensionen von Gräuel
Die so gewaltig sind
Dass sie mit der Zeit
Zur sachlichen Information abgeflacht werden
Um nicht Generationen hartnäckig zu quälen und
Zweifel im Gewissen zu verstetigen die lähmen

Sie sperren sich
Durch zwangsläufig eindimensionale
Verfügbare Darstellungsweisen
Erfasst und wachgehalten zu werden
Die zudem Mitwirkung erfordern und
Die in Zeiten verblassen

Unbeschreibliches menschliches Leid
Nicht fassbare Qualen und millionenfacher Mord
Bürokratisch geplant und professionell verwaltet
Im Jubel von Massen umgesetzt
Sprengen jede Fähigkeit
Zu angemessenem Verstehen und Nachfühlen im Einzelfall

 

Es bleibt die nicht enden wollende
Verunsicherung
Über die unbegreifliche Erfahrung
Der kollektiven Aggression Verrohung Gefühlskälte und Gleichgültigkeit
Einer großen Kulturgemeinschaft
Mit ansonsten herausragender Bildung Kreativität und Leistung

 


Wannsee

Fünfzehn Männer, Nadelstreifen und Uniformen
Passend für jede Führungsetage
Gebildet und mit Stil
Gleichgültig dem Greuel gegenüber
Beschließen millionenfachen Tod
Was ist da falsch gelaufen?
Wie konnte die Gesellschaft das hervorbringen?

Qualen in Baracken
Kälte, Dreck, Siechtum, Willkür, Entrechtung
Entsetzliche Schreie dann im Gas
Qualvoller Tod beschlossen bei Kaffee und Kuchen
Sachlich, konsequent, eiskalt
Wie Planung irgendeiner Großinvestition
Wie konnte das sein?

Die braune Nachwelt hält eine Zeit lang inne
schüttelt sich dann
Und beginnt, nach ähnlichem Muster vorzubereiten
Haben wir wieder versagt?
Man trifft sich wieder ungeniert
und beschließt Ziele der Entrechtung
Noch können wir Schlimmeres verhindern

20. Januar Jahrestag der Wannseekonferenz

 

Diese Geschichte aller Deutschen hat mich mein ganzes Leben begleitet. Ich habe unzählige Male darüber nachgedacht, gelesen, Filme gesehen, Ausstellungen und Länder besucht, Erzählungen von Zeitzeugen gehört. Und doch bleibt mir vieles so schrecklich unverständlich, unzugänglich, unnahbar. Wie hätte ich mich damals wohl verhalten? 

Als Kind habe ich es noch erlebt, dass ich mit Beklemmungen nach Frankreich und England gefahren bin, das schlechte Gewissen im Gepäck. Und ich bin so froh, dass wir heute zusammen mit vielen, denen wir Leid angetan haben in einem Europäischen Haus leben. Umso schlimmer fand ich den Brexit und die dumpfe Europafeindlichkeit, die sich breit macht. Ich hoffe sehr, es bleibt eine unbelehrbare Laune von Minderheiten.